Amtsgericht Stralsund verwehrt Akteneinsicht – kein faires Verfahren möglich

Amtsgericht StralsundDer Wahlverteidiger soll die Akteneinsicht in der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Stralsund einsehen. Das Amtsgericht Stralsund selbst befindet sich ca. eine Stunde Autofahrt vom Sitz des Wahlverteidigers entfernt. Eine Übersendung der Akte drei Wochen vor dem Hauptverhandlungstermin verweigerte das Amtsgericht Stralsund mit dem Hinweis auf die bevorstehende Hauptverhandlung:

 

„Es stehen der Aktensicht durch die Übersendung der Akte gemäß § 147 Abs. 4 Satz 1 StPO gewichtige Gründe entgegen. Der Hauptverhandlungstermin steht kurz bevor, bei Eingang des ersten Akteneinsichtsgesuchs des Verteidigers am 27. Februar 2014 waren es nur noch drei Wochen bis zum Termin.“ (315 Ds 453/13)

 

Während dieser bedeutenden drei Wochen (!) war für das Gericht „zur Sicherung des Hauptverhandlungstermins“ die Übersendung der Ermittlungsakte – zur Vorbereitung der Verteidigung – nicht möglich. Auch die Beschleunigung des Verfahrens wurde vorgeschoben, um die Einsicht dem Wahlverteidiger zu verweigern.

 

Später im Beschluss greift das Amtsgericht Stralsund auch noch auf die „Erfahrung“ in solchen Fällen, wenn sie drei Wochen (!) vor (!) dem Hauptverhandlungstermin die Akte dem Verteidiger zusenden. So heißt es dann: „Erfahrungsgemäß kommt es nach der Übersendung der Ladungen zu verschiedensten Schreiben an das Gericht, die im Zusammenhang mit der Hauptverhandlung stehen, die ohne Akte nicht unverzüglich bearbeitet werden könne. So gab es hier z.B. einen Antrag eines Zeugen ihn vom Erscheinen zu entbinden oder ihn hilfsweise durch einen ersuchten Richter vernehmen zu lassen. Dieser hätte ohne Akten nicht zeitnah und verfahrensfördernd bearbeitet werden können.“

 

Und dann führt man die Deutsche Post ins Feld und präsentiert diese als möglichen Schuldigen, wenn die Akte nicht pünktlich zurückkommen sollte: „Auch hat sich leider erwiesen, dass die Postlaufzeiten bei der Übersendung von Akten häufig mehrere Tage dauern und Akten regelmäßig erst nach einer Woche oder noch später wieder bei Gericht eingehen.“

 

Diese Entscheidung ist gemäß § 147 Abs. 2 StPO unanfechtbar.

 

Diese Entscheidung ist gelinde gesagt einem Strafrichter nicht würdig. § 147 Abs. 4 bestimmt doch, dass dem Verteidiger die Akten grundsätzlich mitzugeben sind. Ein Blick in die RiStBV hätte dem Richter auch gut getan. Falls dieser Richter sich hier im Blog weiterbilden möchte: Nr. 187 Abs. 2 RiStBV. Den Sinn kann ich ihm auch noch erklären: Der Verteidiger soll in Ruhe die Verteidigung aufbauen und muss daher auch in Ruhe die Akte ansehen, Beweismittel prüfen, würdigen und die Erörterung vorbereiten. Vorallem soll er sich Fotokopien machen können. Daher ergibt sich meines Erachtens auch ein Rechtsanspruch auf Mitgabe der Akte.

 

Wie löst man jetzt weise – und nicht wie das Amtsgericht Stralsund – das Problem, dass in drei Wochen (man solle meinen es sind noch 21 Tage) die Hauptverhandlung beginnen soll und das Gericht noch Schreiben von Zeugen beantworten möchte und sich ohne Akte außerstande sieht, diese qualifiziert vorzunehmen.

 

Die Anlage von Duplikatakten für den Wahlverteidiger wäre hier als einfache Lösung gegeben gewesen.

 

Die Akte müsste nur einmal von der Justizsekretärin (oder meinetwegen auch Sekretär oder das Gericht nutzt ihre Jurapraktikanten aus) kopiert werden und dem Wahlanwalt zugesandt werden müssen. Warum sperrt sich ein Richter gegen diese Möglichkeit und riskiert einen Befangenheitsantrag? In manchen Fällen sind Richter nicht zu verstehen. Ich selbst kenne Richter, die eine solche einfache Lösung, die Übersendung einer Kopie der Akte, bevorzugt hätten, um einen solchen Beschluss – den ich übrigens in der Begründung äußerst peinlich finde – nicht fassen zu müssen.

 

Vielleicht hätte der Richter vom Amtsgericht Stralsund auch mal den Kollegen Burhoff fragen sollen. 🙂 In dem von mir sehr geschätzten Großwerk des Kollegen Burhoff “Handbuch für das Ermittlungsverfahren” findet man unter dem Stichwort Akteneinsicht unter Randnummer 263 zwar den wichtigen Grund der Verweigerung, weil die Verhandlung vorbereitet werden muss, jedoch aber auch den Hinweis, dass dann Zweitakten anzufertigen und dem Verteidiger zu überlassen sind.

 

Thomas Penneke

Strafverteidiger Rostock

 

 

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