Rechtsprechung ausländischer Beschuldigter

Penneke GerichtsentscheidungImmer wieder sind Gerichte auch der Meinung, dass sich Beschuldigte selbst verteidigen könnten. Über diese Ansicht der Gerichte bei deutschen Beschuldigten habe ich in den letzten Beiträgen schon berichtet und dargelegt, warum dies nicht richtig ist und vor den Richter immer das Opfer tritt. Denn wenn er unverteidigt ist, hat so mancher Richter leichtes “Spiel”.

Nun, die Ausländer stehen da noch schlechter da, denn im Gegensatz zu den deutschen Angeklagten, verstehen sie wenig oder gar kein Deutsch. Die subjektive Auffassung von Werten und von Recht und Gesetz ist zudem (im Einzelfall) eine ganz andere, als der Richter hat – als wie wir haben.

In Haftsachen wird auch zu schnell die Fluchtgefahr angenommen, nur weil der Ausländer ein Ausländer ist. Der Dolmetscher ist überflüssig, denn er kostet der Landeskasse Geld, etc. pp.

Eine kleine willkürliche Auswahl von interessanten Gerichtsentscheidungen habe ich in diesem Beitrag unkommentiert dargestellt.

1.

OLG Nürnberg: Ist die Mitwirkung eines Verteidigers weder aufgrund der Schwere der Tat noch wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage geboten, so führt auch der Umstand, dass der Angeklagte der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist, nicht generell zu einer notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO, da dessen Rechte auf Ausgleich der mit den sprachbedingten Verständigungsschwierigkeiten einhergehenden Beschränkungen durch die mit Wirkung vom 06.07.2013 neu gefasste Vorschrift des § 187 GVG hinreichend gewahrt werden. (Beschluss vom 3.3.2014 – 2 Ws 63/14)

2.

OLG Hamm: Den Anforderungen des § 187 Abs. 2 GVG und dem Gebot des fairen Verfahrens wird bei einem verteidigten Angeklagten, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, regelmäßig dadurch gerügt, dass ihm die mündliche Urteilsbegründung durch einen Dolmetscher übersetzt wird und er die Möglichkeit hat, das abgesetzte schriftliche Urteil zusammen mit seinem Verteidiger unter Hinzuziehung eines Dolmetschers zu besprechen und sich in diesem Zusammenhang auch das Urteil zumindest auszugsweise übersetzen zu lassen. Einer schriftlichen Übersetzung des vollständigen Urteils bedarf es dann nicht. (Beschluss vom 11.03.2014, Az.: 2 Ws 40/14)

3. 

OLG Dresden: Der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren beinhaltet nicht den Anspruch auf Übersetzung der gesamten Verfahrensakte, sondern nur der Unterlagen, deren Kenntnis zur ordnungsgemäßen Verteidigung erforderlich ist. Für die Frage der Erforderlichkeit einer Übersetzung ist maßgeblich auf die ex-ante-Sicht im Zeitpunkt der Auftragserteilung abzustellen (Art. 6 MRK; § 46 RVG). (Beschl. v. 19. 4. 2011 – 2 Ws 96/11)

4.

OLG Köln: Allein ein bloß passives Verhalten eines im Ausland lebenden ausländischen Beschuldigten ohne jeden sonstigen Hinweis auf eine – zukünftig – fehlende Bereitschaft, sich dem deutschen Verfahren zu stellen, reicht zur Begründung einer Fluchtgefahr gem. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO nicht aus. (Beschluss vom 18.03.2005, Az.: 2 Ws 32/05)

5.

OLG Oldenburg: Bei niederländischen Beschuldigten, die eines Betäubungsmitteldelikts dringend verdächtigt sind, besteht i.d.R. erhöhte Fluchtgefahr (§ 112 StPO). (Beschluss vom 4. 11. 2009 – 1 Ws 599/09)

6.

KG Berlin: Begibt sich ein ausländischer Beschuldigter in Kenntnis des gegen ihn in Deutschland geführten Ermittlungsverfahrens in sein Heimatland, ist er flüchtig im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO, wenn sein Verhalten von dem Willen getragen ist, sich dauernd oder länger dem Strafverfahren zu entziehen. Reist er dagegen mit Rückkehrwillen zu einem nur vorübergehenden Aufenthalt in sein Heimatland, ist er auch dann nicht flüchtig, wenn die Wirkung der Unerreichbarkeit für die deutschen Strafverfolgungsbehörden und das Gericht tatsächlich eintritt, weil sein Heimatland eigene Staatsangehörige grundsätzlich nicht an Deutschland zum Zwecke der Strafverfolgung ausliefert. Ernsthafte Rückkehrbemühungen stehen der Annahme entgegen, der ausländische Beschuldigte verbleibe im Ausland, um sich den Zugriffsmöglichkeiten der deutschen Justiz zu entziehen. Sie sprechen gegen das Vorliegen des für die Annahme einer Flucht im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO erforderlichen subjektiven Elements (Fluchtwillen). (Beschluss vom 01.03.2013, Az.: 4 Ws 14/13 – 141 AR 685/12)

7. 

Und einmal umgekehrt: Das Gespräch, das ein Konsularbeamter mit einem in ausländischer Haft befindlichen deutschen Beschuldigten in Erfüllung seiner Hilfspflicht nach § 7 KonsG führt, ist keine Vernehmung im Sinne von § 136a StPO. Wird ein Beschuldigter in ausländischer Haft bei Vernehmungen geschlagen, so führt dies nicht zur Unverwertbarkeit seiner Äußerungen im Rahmen eines Gesprächs, das er während der Haft mit einem deutschen Konsularbeamten führt, wenn hierbei die Misshandlungen keinen Einfluss auf den Inhalt seiner Angaben mehr haben. (Bundesgerichtshof Beschluss vom 14.09.2010, Az.: 3 StR 573/09)

8.

Und hier noch eine Entscheidung aus dem „Kalten Krieg“:

1. Der Haftgrund der Flucht besteht nicht für Beschuldigte, die zu keinem Zeitpunkt in der Bundesrepublik Deutschland waren, sondern Bürger der DDR sind, und die Tat, deren sie dringend verdächtig sind, vom Boden der DDR aus begangen haben.

2. Daß eine Person, die sich schon immer, also auch bei der Tat, im Ausland aufgehalten hat, sich nicht freiwillig dem Strafverfahren, das die Strafverfolgungsbehörden der Bundesrepublik gegen sie betreiben, stellt, ist für sich kein Haftgrund.

(Bundesgerichtshof Urteil vom 20.11.1989, Az.: 2 BGs 358/89)

 

 

Weiterführende Literatur: Burhoff: Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und Jung: Praxiswissen Strafverteidigung von Ausländern

 

Thomas Penneke