Einem Entschädigungsverlangen nach dem AGG kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs u.a. auch dann entgegenstehen, wenn ein Kläger sich systematisch auf eine Vielzahl von AGG-widrig ausgeschriebene Stellen als „Sekretärin“ im Sinne eines durch ihn weiterentwickelten Geschäftsmodells „2.0“ bewirbt, mit dem alleinigen Ziel, Entschädigungsansprüche nach dem AGG durchzusetzen und hierdurch seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Ein solches fortentwickeltes Geschäftsmodell kann sich daraus ergeben, dass ein Kläger – aufgrund von verlorenen Entschädigungsprozessen in der Vergangenheit – gezielt ihm darin durch Gerichte vorgehaltene Rechtsmissbrauchsmerkmale bei zukünftigen Bewerbungen minimiert und die Bewerbungen entsprechend anpasst, die ebenfalls seitens der Gerichte konkret monierten, untauglichen Bewerbungsunterlagen aber bewusst und konstant auf niedrigem Niveau belässt, um bei der Stellenbesetzung selbst nicht berücksichtigt zu werden.
(Landesarbeitsgericht Hamm Urteil 6. Kammer 6 Sa 896/23)
Sachverhalt
Ein Mann bewarb sich auf mehrere Stellen, die explizite eine Sekretärin suchten. In seinem Anschreiben ging er auf die Anforderungen der Stelle nur rudimentär ein und erklärte lediglich, sieben Jahre Berufserfahrung in dem Bereich und eine abgeschlossene Ausbildung als Industriekaufmann zu haben. Zeugnisse oder Ähnliches reichte er nicht ein, sein Anschreiben enthielt Rechtsschreib- und Grammatikfehler, die ihn als Bürokraft sofort disqualifizierten. Er bekam keine Rückmeldung, die Stelle wurde mit einer Frau besetzt.
Hiernach klagte er dann gegen die jeweiligen Unternehmen wegen eines Verstoßes gegen § 15 Abs. 2 AGG. Die Vorschrift gewährt einen Anspruch auf Zahlung von maximal drei Monatsgehältern bei Nichteinstellung wegen Benachteiligung nach einem der Kriterien des AGG.
Die Entscheidung Nr. 1
Zunächst erging ein Versäumnisurteil gegen den Kläger. Mit Urteil vom 07.07.2023 hat das Arbeitsgericht Dortmund das klageabweisende Versäumnisurteil vom 28.03.2023 aufrechterhalten, im Wesentlichen mit folgender Begründung:
“Dem Entschädigungsverlangen des Klägers stehe der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegen. Es liege ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen des Klägers zur ausschließlichen Erlangung eines Entschädigungsanspruchs vor. Die Beklagte habe insoweit hinreichende Indizien vorgetragen. Für ein solches Vorgehen spreche zunächst, dass der Kläger eine Vielzahl von Verfahren – gerichtet auf Entschädigungszahlungen wegen der Benachteiligung aufgrund seines Geschlechts – geführt habe. (…)
Ferner sei der Kläger auf den Inhalt der Stellenanforderungen nicht hinreichend eingegangen. So habe die Beklagte etwa gefordert, dass ein Bewerber hohe Einsatzbereitschaft, Flexibilität und Teamfähigkeit mitbringe, wozu sich der Kläger weder in seinem schriftlichen Anschreiben noch in den Angaben bei Indeed eingelassen habe. Ferner dürfte ein Bewerber, der sich auf die Stelle einer „Sekretärin“ bewerbe, etwaigen Höflichkeitsformen in einem Anschreiben wohl mehr Beachtung schenken. Die Kürze der Sätze sowie der wenig ansprechende Satzbau führten bei einer Gesamtbetrachtung dazu, dass der Kläger wohl auch das Possessivpronomen „Ihnen“ bewusst kleingeschrieben habe, um eine Absage zu provozieren. Im Übrigen hätte ein Bewerber mit ernsthaftem Interesse an der Stelle, wenn er schon neben der elektronischen Bewerbung noch ein schriftliches Bewerbungsschreiben verfasse, diesem Schreiben aussagekräftige Unterlagen beigefügt.”
Die Entscheidung Nr. 2 (siehe Leitsatz)
Das Landesarbeitsgericht hielt die Entscheidung. Die Gründe ergänzt die Kammer. So habe er sich nur auf Stellen beworben, die entgegen den Vorgaben des AGG geschlechtsspezifisch ausgeschrieben waren. Sein Vollzeitstudium Wirtschaftsrecht lasse, auch wenn im Fernstudium absolviert, eine Erwerbstätigkeit in Vollzeit auch gar nicht zu. Seine Bewerbung mit den Rechtsschreibfehlern und ohne aussagekräftige Unterlagen sei so ausgestaltet gewesen, dass sie nicht zum Erfolg führen könne, die Gründe für eine Absage würden geradezu auf dem “Silbertablett präsentiert”
Meinung und Schluss!
Darin sieht man wieder, auf welche Ideen Menschen kommen, die die vielleicht gutgemeinten Gesetze ausnutzen bzw. die Konsequenz aus den Gesetzen erwarten. Dass ihr Verhalten grundsätzlich auch kriminell zu werten sein könnte, bedenken diese Menschen nicht. Vielleicht hätte er sich vorher juristisch beraten lassen sollen, denn ein versuchter Betrug liegt hier im Raum. Darum hat auch diese arbeitsgerichtliche Entscheidung es in meinen Blog geschafft.
Die Entscheidung ist richtig. Die Begründungen beider Entscheidungen sind konsequent und nachvollziehbar.
Die gesamten Gründe und auch die Formulierung einiger seiner “Bewerbungen” sind in der online gestellten Entscheidung (siehe Link oben am Ende des Leitsatzes) zu finden. Also ich hätte ihn auch so nicht angestellt.
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Klassischer AGG-Hopper-Fall. Danke für den Blog-Beitrag