Verteidiger sind in Stralsund in der Pflicht, die Akten im Gericht abzuholen?

Zur Vorbereitung einer Verteidigung sollen die Akten vom auswärtigen Verteidiger in der Geschäftsstelle eingesehen bzw. persönlich abgeholt werden, wenn die Gefahr angenommen wird, dass die Akten auf dem Weg zum Verteidiger verloren gehen könnten. Eine Entfernung zur Abholung der Akten von ca. 100 Kilometern einfacher Strecke sind hier dem Verteidiger zuzumuten. Sollte er dies nicht vornehmen, ist die dann von ihm gerügte mangelnde Möglichkeit sich auf die Verteidigung für den Angeklagten vorzubereiten auf seine Weigerung, die Akten abzuholen, zurückzuführen. (Beschluss LG Stralsund 26 Qs 79/19 vom 24. April 2019)

Unglaubliches geschieht wieder einmal in Mecklenburg-Vorpommern. Gedeckt vom Landgericht Stralsund bestimmt ein Richter des Amtsgerichts Stralsund, dass ein auswärtiger Verteidiger 1 Monat und 2 Tage vor dem Hauptverhandlungstermin die Akten beim Gericht abzuholen hat. Entgegen der gängigen Praxis (auch sämtlicher anderer Richter des Amtsgerichts Stralsund) und der einschlägigen Rechtsprechung hierzu geht ein Richter am Amtsgericht Stralsund seinen eigenen Weg mit der Strafprozessordnung (StPO). Das Landgericht Stralsund gibt ihm hierzu Rückdeckung!

Sachverhalt:

Mit dem 21. März 2019 zeigte ich mich als Verteidiger eines Mandanten beim Amtsgericht Stralsund an. Ich beantragte in diesem Schreiben die Akteneinsicht. Mit Schriftsatz des Gerichts vom 25. März 2019 wurde mir eine Anordnung des Gerichts mitgeteilt. 

Einwurf: Zu diesem Zeitpunkt war mir die Ladung an den Mandanten noch nicht bekannt. Die abschlägige Entscheidung zum Pflichtverteidigerwechselantrag des Mandanten war mir bis dahin auch unbekannt.

Zunächst wurde ich aufgefordert eine Vollmacht vorzulegen. Dann wurde mir mitgeteilt, dass das Verfahren bereits seit März 2018 eröffnet und ein Termin auf den 25. April 2019 „bestimmt“ sei. 

Die Akteneinsicht könne nicht so wie von mir gewünscht gewährt werden. Ich wurde auf die Geschäftstelle in Stralsund verwiesen. Hierbei sollte ich die Akteneinsicht auch nur gewährt bekommen, wenn ich die Vollmacht vorlegen würde. Es wurde auch eine persönliche Abholung durch das Gericht an mich angeregt, wobei die letzte Herausgabe der Akte auf den 8. April 2019 befristet wurde. 

Hierauf erwiderte ich unter dem 29. März 2019 und bat um Aufklärung zum Sachverhalt der Ladung. Zudem teilte ich dem Gericht mit, dass der Versagungsgrund zur Akteneinsicht nicht ziehe und bestand auf die Akteneinsicht.

Daraufhin erhielt meine Kanzlei am 2. April 2019 vom zuständigen Richter eine Mitteilung in dem er auf dem Anrufbeantworter mir unter anderem mitteilen ließ, dass ich die Akten nicht über den Postweg erhalte, da es beim Amtsgericht Stralsund schon des öfteren vorgekommen sei, dass diverse Akten irgendwo in der Post hängen geblieben seien. Aufgrund des Umfanges der Sache sei dem Richter der Aktenversand vor dem Hauptverhandlungstermin (noch 23 Tage – Anm. RA Penneke) “zu riskant“. Ich werde dies auch noch einmal schriftlich erhalten. 

Hierauf erhielt ich einen Schriftsatz des Gerichtes vom 3. April 2019 (noch 22 Tage) in welchem mir unter anderem mitgeteilt wurde, dass § 147 Abs. 4 StPO seit dem 31.12.2017 aufgehoben worden sei. Desweiteren wurde mir mitgeteilt, dass Akten im Postlauf hängen bleiben würden und deswegen Akten nicht mehr mit der Post versandt werden würden.

Gegen die Entscheidung richtete ich eine Beschwerde. Ich verwies auf § 32 f StPO. Ein Organisationsverschulden des Gerichts wurde geltend gemacht und auch vorgeschlagen, die Akten per Kurier zu übersenden.

Das Landgericht Stralsund hielt die Beschwerde für unzulässig und unbegründet. Sie wurde verworfen (26 Qs 79/19). Aus dem Inhalt:

“(…), ist die Beschwerde bereits unzulässig.

Gemäß § 32 f Abs. 3 StPO sind Entscheidungen über die Form der Akteneinsicht nicht anfechtbar.

Im Übrigen sind die Ausführungen des Amtsgerichts, aufgrund des bevorstehenden Termins Akteneinsicht nur in den Diensträumen ((32 f Abs. 2 StPO) oder bei persönlicher Abholung bis zum 08.04.2019 für 48 Stunden zu gewähren, gut nachvollziehbar. Zwar sollen gemäß § 32 f Abs. 2 Satz 3 StPO dem Verteidiger die Akten auf Antrag mitgegeben werden, sofern nicht wichtige Gründe entgegenstehen. Die Kammer sieht den anstehenden Termin als wichtigen Grund an. Auch ist zu berücksichtigen, dass bei persönlicher Abholung bis zum 08.04.2019 auch die Möglichkeit der Einsichtnahme in den Kanzleiräumlichkeiten bestanden hätte. Bei der Entfernung Rostock – Stralsund stellt dies auch kein unzumutbare Härte dar. (…)

Zwischenzeitlich wäre aufgrund des Verhandlungstermins vom 25. April 2019 eine sachgerechte Verteidigung durch den Wahlverteidiger aufgrund der bisher nicht erfolgten Akteneinsicht nicht mehr möglich. Dass die Akteneinsicht bisher nicht gewährt wurde, lag allein an der nicht zu beanstandenen Entscheidung des Gerichts, die Akte so kurz vor dem Verhandlungstermin nicht per Post zu versenden und der offensichtlichen Weigerung des Wahlverteidigers auf eine der vorgeschlagenen Weisen Einsicht zu nehmen. (…)”

Mit der Unzulässigkeit mag das Landgericht auch eine richtige Auffassung nach dem Gesetz dargelegt haben. Im Punkt der Begründetheit hätte sich das Landgericht etwas zurückhalten sollen, zeigt es doch auf, wie nach der Änderung der StPO die Richter in Stralsund (zumindest ein Teil der Richter) mit auswärtigen Verteidiger umzugehen gedenken.

Ein Monat und zwei Tage vor dem Hauptverhandlungstermin ist eine Aktenübersendung nicht mehr gefahrlos möglich ….. Oh Mann! Ein Richter am Amtsgericht Stralsund stellt uns die Gefahren der Übersendung der Akte dar.

Sind wir jetzt verpflichtet die Akten zu holen? Ich denke nicht!

Ihr Rechtsanwalt / Strafverteidiger Thomas Penneke

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2 Gedanken zu „Verteidiger sind in Stralsund in der Pflicht, die Akten im Gericht abzuholen?“

    1. Auch das kam dem Richter nicht in den Sinn. Hier sollte mal wieder gezeigt werden, wer am längeren Hebel sitzt. Das Recht des Angeklagten auf einen fairen Prozess ist diesem Richter völlig egal. Das Landgericht stützt ihn noch. Letzteres ist das gruselige. Gruß Thomas Penneke http://www.PENNEKE.de

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