Sobald ein Strafgericht einen Vorschlag zur Beendigung eines Prozesses macht, wonach der Angeklagte bei einem bestimmten prozessualen Verhalten (meist Geständnis) eine Strafe im gegebenen Rahmen erwarten dürfe, liegt ein Verständigungsvorschlag vor.
Es ist egal, ob das Gericht der Verständigung oder den Gesprächen hierzu einen anderen Namen gibt und ob der Angeklagte dieser Mitteilung über Strafrahmen ausdrücklich zugestimmt hat.
BGH, Beschluss vom 23.09.2021 – 1 StR 43/21
Der Bundesgerichtshof hob ein Urteil des Landgerichts Berlin auf, welches auf einer sogenannten “Transparenzerklärung” beruhte, von der die Wirtschaftskammer des Landgerichts Berlin behauptete, es sei gerade kein Dealvorschlag. Deshalb sei auch keiner der Angeklagten nach den Verständigungsregeln belehrt worden.
Sachverhalt
Es ging um ca. 5.000 Fälle der Steuerhinterziehung. Nach 18 Hauptverhandlungstagen wurde die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257 c StPO – auch “Deal” genannt) erörtert. Dabei machte die Kammer aber auch klar, dass sie das Verfahren nicht für verständigungsgeeignet halte. Der Vorsitzende Richter der Wirtschaftskammer mailte dann den Verteidigern und dem Staatsanwalt seiner Würdigung der bisherigen Lage im Strafprozess und teilte seiner Vorstellung des Strafrahmens mit, wenn umfassende Geständnisse von jedem einzelnen Angeklagten vorlegen. Am nächsten Hauptverhandlungstag in Berlin erklärte der Richter, dass es sich nicht um einen Verständigungsvorschlag der Kammer gehandelt habe, sondern dies sei eine Transparenzerklärung. Selbst im Fall eines Geständnisses sehe sich die Kammer weder an die mitgeteilten Ober- und Untergrenzen einer etwaigen Strafe gebunden. Verständigungsgespräche hätte sowieso nicht stattgefunden.
Urteil
Alle Angeklagten wurden – gestützt auf die dann abgelegten Geständnisse – zu mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt und legten Revision zum Bundesgerichtshof ein.
Entscheidung des BGH
Die Wirtschaftskammer habe im vorliegenden Fall den Angeklagten einen Verständigungsvorschlag gemäß § 257 c Abs. 3 StPO gemacht. In der “Transparenzerklärung” sei ein bestimmter Strafrahmen in Aussicht gestellt worden, wenn die Angeklagten ein Geständnis ablegen würden. Wenn, wie hier Gespräche zwischen den Verfahrensbeteiligten stattgefunden haben, ist das Verhalten der Angeklagten hiernach mit diesen verknüpft. Nur, weil es “Tranzparenzerklärung” genannt werde, bleibt es doch ein Verständigungsvorschlag.
Auch das Fehlen einer ausdrücklichen Zustimmungserklärung der Angeklagten sei unschädlich. Vor dem Zustandekommen einer Verständigung ist der Angeklagte über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis zu belehren. Außerdem habe das Landgericht Berlin die Einlassungen verwertet, obwohl es die Geständnisse nicht für ausreichend hielt, und damit auch gegen § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO verstoßen.
Warum? Eine solche Belehrung soll dem Angeklagten eine eigene Entscheidung ermöglichen. Das kann er nur, wenn er darüber informiert wird, ab wann sich das Gericht an die Absprache (in Berlin jetzt “Transparenzerklärung” 😏 ) nicht mehr gebunden fühlt. Die Kammer am Landgericht Berlin hat die Angeklagten aber nicht belehrt, weil es von keiner Verständigung ausgegangen sei.
Anmerkung: “Auch wenn das Gericht dem Kind einen anderen Namen gibt, hat es sich an das Gesetz zu halten.” Die Entscheidung ist richtig und setzt der “Kreativität” der Gerichte klare Grenzen. Es handelt sich bei solchen Transparenzerklärungen immer um eine Art “Nötigung” des Angeklagten. Sie sagen: “Wir meinen, dass Du 5 Jahre bekommen musst, aber nur wenn Du ein Geständnis abgelegt. (Und wenn nicht, wird es mehr.)” Das in Klammern wird nicht ausgesprochen. Grundsätzlich ist das auch die Aussage bei einer Verständigung. Bei einem Strafrahmen im Zuge einer Verständigung wird ja auch ein Geständnis zugrunde gelegt und dann “moderate” Strafen angeboten. Gesteht man nicht, dann wird’s (meist) mehr. Bei einer ordentlichen Verständigung sind aber Regeln einzuhalten. Diese sind vom Gesetzgeber gerade eingeführt worden, damit eine “Nötigungssituation”, die eine autonome Entscheidung des Angeklagten verhindert, nicht entsteht. Sehr ordentlich BGH 👍🏻