Kein Rückschluss bei Gefährlichkeit des Tuns auf Tötungsvorsatz

Wer bei einer Flucht vor der Po­li­zei mit einem Auto auf einem Rad­weg einen Fu­ß­gän­ger ver­letzt, han­delt nicht unbedingt wegen der Ge­fähr­lich­keit sei­nes Tuns mit Tö­tungs­wil­len ( BGH, Urteil vom 30.07.2021 – 4 StR 333/20).

Mit der Entscheidung des vierten Senats macht der Bun­des­ge­richts­hof ein­mal mehr deut­lich, dass die An­nah­me eines be­ding­ten Tö­tungs­vor­sat­zes eine um­fas­sen­de Wür­di­gung aller Tat­um­stän­de er­for­dert.

Sachverhalt

Ein Mann fuhr Auto, ohne eine Fahr­erlaub­nis zu be­sit­zen. Als er in eine Po­li­zei­kon­trol­le ge­riet, floh er erst bei “rot” über eine Kreu­zung, sodann über­hol­te er einen an­de­ren Wagen, touchierte und be­schä­dig­te die­sen. Die Fahrtendete in einer Sack­gas­se, die aber nach Durch­bre­chen zwei­er Me­tall­pfos­ten in einen kom­bi­nier­ten Fuß- und Rad­weg über­ging. Der 3,20 Meter brei­te Weg war mit Pflan­zen und teil­wei­se mit einem Ge­län­der be­grenzt und recht kur­vig, so dass man ihn nicht weit ein­se­hen konn­te. Trotz­dem fuhr der Flüch­ten­de mit 30-40 km/h wei­ter. Sein Auto war 2,03 Meter breit. Auf einer Au­to­bahn­brü­cke be­fan­den sich drei Per­so­nen an un­ter­schied­li­chen Stand­or­ten, davon saß einer in einem 60 cm brei­ten Roll­stuhl. Der Mann fuhr wei­ter, ohne die Fu­ß­gän­ger zu war­nen. Einer mach­te un­ver­mit­telt einen Schritt zur Mitte des Weges, wurde von dem Wagen er­fasst und schwer ver­letzt. Den an­de­ren bei­den konn­te der Fah­rer aus­wei­chen und wei­ter flüch­ten. 

Entscheidung des Landgerichts Duisburg 

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit versuchtem Mord in drei tateinheitlichen Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung“, zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und eine Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis verhängt (Duisburg, LG, 26.02.2020 ‒ 132 Js 121/19 35 Ks 18/19).

Entscheidung des Bundesgerichtshofes

Der 4. Straf­se­nat be­män­gel­te, dass das Land­ge­richt aus der Ge­fähr­lich­keit der Fahrt pau­schal auf den Tö­tungs­wil­len des Angeklagten ge­schlos­sen hatte. Das sei eine un­zu­läs­sig ver­kürz­te Be­trach­tungs­wei­se. Das Ge­richt hätte sich um­fas­send mit der Vor­stel­lung des Fah­rers zum Zeit­punkt der Tat be­fas­sen müs­sen. Die be­wuss­ten Fahr­ma­nö­ver, die der Mann un­ter­nahm, um den Fu­ß­gän­gern aus­zu­wei­chen und auch die Tat­sa­che, dass der Ver­letz­te un­mit­tel­bar vor der Kol­li­si­on in die Mitte des Weges trat, hät­ten be­rück­sich­tigt wer­den müs­sen. Auch die Einlassung des Angeklagten sei nicht entsprechend gewürdigt worden, denn dieser auf ein Ausbleiben eines tödlichen Geschehens vertraut. 

Aus dem Urteil des BGH

„Bedingter Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und er ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 18. Juni 2020 ‒ 4 StR 482/19, NJW 2020, 2900 Rn. 22; vom 1. März 2018 ‒ 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88, 93; Beschluss vom 18. Februar 2021 – 4 StR 266/20).

Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Vorsatzelemente in jedem Einzelfall umfassend zu prüfen und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen zu belegen. Die Prüfung, ob Vorsatz oder bewusste Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich das Tatgericht mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivlage und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände ‒ insbesondere die konkrete Angriffsweise ‒ mit in Betracht zieht. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung zwar einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement dar. Die Gefährlichkeit ist aber kein allein maßgebliches Kriterium für die Entscheidung, ob ein Täter mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat. Maßgeblich sind auch bei gefährlichen Handlungen stets die Umstände des Einzelfalles (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 18. Juni 2020 ‒ 4 StR 482/19, aaO Rn. 23; vom 1. März 2018 ‒ 4 StR 399/17, aaO, S. 93 f.; vom 22. März 2012 ‒ 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f.; Beschlüsse vom 18. Februar 2021 – 4 StR 266/20 Rn. 10; vom 25. März 2020 ‒ 4 StR 388/19 Rn. 8).“

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