Verwerfung der Revision ohne mündliche Verhandlung weiterhin möglich

PennekeDie in der Strafprozessordnung eröffnete Möglichkeit, eine offensichtlich unbegründete Revision ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss zu verwerfen, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Es ist von Verfassungs wegen auch nicht geboten, dass eine solche Entscheidung mit einer Begründung versehen wird. Dies hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden und sich dabei auch mit dem Recht auf ein faires Verfahren auseinandergesetzt, das in Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgt ist.

 

Wenn ich so an manche Revisionsentscheidung des OLG Rostocks denke, wird mir ganz schlecht.

 

 

Sachverhalt:

 

Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen die

Verwerfung einer Revision in Strafsachen durch Beschluss nach § 349 Abs.

2 der Strafprozessordnung (StPO). Er rügt, dass die Entscheidung ohne

Durchführung einer Revisionshauptverhandlung ergangen sei und keine

Begründung aufweise.

 

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

 

1. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass der

Bundesgerichtshof über die Revision des Beschwerdeführers ohne mündliche

Verhandlung durch Beschluss entschieden hat.

 

a) Art. 103 Abs. 1 GG begründet keinen Anspruch auf eine mündliche

Verhandlung; es ist vielmehr Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, in

welcher Weise das rechtliche Gehör gewährt werden soll. Der

Beschwerdeführer hatte in seiner Revisionsbegründung (§ 344 StPO) und in

der Gegenerklärung zum Antrag des Generalbundesanwalts (§ 349 Abs. 3

Satz 2 StPO) Gelegenheit, sich umfassend zu äußern. Er trägt nicht

substantiiert vor, dass er sein Revisionsvorbringen in schriftlicher

Form nicht ausreichend habe deutlich machen können.

 

b) Die Durchführung einer Revisionshauptverhandlung ist auch nicht zur

Herstellung prozessualer „Waffengleichheit“ erforderlich. Es trifft zwar

zu, dass Revisionen der Staatsanwaltschaft im Gegensatz zu Revisionen

des Angeklagten im Allgemeinen nicht durch Beschluss nach § 349 Abs. 2

StPO verworfen werden. Der Beschwerdeführer zeigt jedoch nicht auf,

inwieweit diese Praxis bei Revisionen von Angeklagten generell oder im

konkreten Einzelfall zu einer verminderten Rechtsschutzqualität führt.

 

2. Dass der Bundesgerichtshof die Revision des Beschwerdeführers ohne

Begründung verworfen hat, ist verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu

beanstanden.

 

a) Von Verfassungs wegen bedarf eine mit ordentlichen Rechtsmitteln

nicht mehr angreifbare letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung

regelmäßig keiner Begründung. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung

des Bundesverfassungsgerichts auch für Beschlüsse nach § 349 Abs. 2

StPO.

 

b) Eine Begründung des Beschlusses ist auch nicht deshalb erforderlich,

weil sonst keine sinnvolle Entscheidung darüber getroffen werden könnte,

ob eine Anhörungsrüge oder eine Verfassungsbeschwerde erhoben werden

soll. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von

ihnen entgegengenommene Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und

in Erwägung gezogen haben. Zudem setzt eine Verwerfung der Revision

durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO einen zu begründenden Antrag der

Staatsanwaltschaft voraus, der dem Revisionsführer mit den Gründen

mitzuteilen ist. Zwar muss sich das Revisionsgericht dem Antrag der

Staatsanwaltschaft nur im Ergebnis, nicht jedoch in allen Teilen der

Begründung anschließen. Bei einer Abweichung von der Begründung der

Staatsanwaltschaft ist es aber sinnvoll und entspricht allgemeiner

Übung, in den Beschluss einen Zusatz zur eigenen Rechtsauffassung

aufzunehmen. Ohne einen solchen Zusatz kann davon ausgegangen werden,

dass sich das Revisionsgericht die Rechtsauffassung der

Staatsanwaltschaft zu Eigen gemacht hat.

 

3. Die Verwerfung der Revision des Beschwerdeführers nach § 349 Abs. 2

StPO widerspricht auch nicht dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß

Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).

 

a) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für

Menschenrechte kann im Rechtsmittelverfahren unter bestimmten

Voraussetzungen vom Grundsatz der öffentlichen mündlichen Verhandlung

(Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) abgewichen werden. Dabei ist eine

Gesamtbetrachtung der nationalen Verfahrensordnung und der Rolle des

Rechtsmittelgerichts darin vorzunehmen. Ohne Revisionshauptverhandlung

war es dem Bundesgerichtshof nur möglich, das erstinstanzliche Urteil,

das auf einer öffentlichen mündlichen Verhandlung beruht, aufzuheben und

zugunsten des Beschwerdeführers zu entscheiden oder aber das Urteil

rechtskräftig werden zu lassen. Des Weiteren ist die Revision auf die

Prüfung von Rechtsfragen beschränkt, die sich regelmäßig nach Aktenlage

entscheiden lassen. Ein Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO kann zudem nur

bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Revision ergehen und setzt

Einstimmigkeit voraus. Dies dient der Schonung der Ressourcen der

Justiz, damit sich diese zügig aussichtsreichen Rechtsmitteln zuwenden

kann, und damit der Verwirklichung des durch Art. 6 Abs. 1 EMRK

gewährleisteten Beschleunigungsgrundsatzes.

 

b) Zudem ist es mit Art. 6 EMRK vereinbar, dass der Bundesgerichtshof

seine Entscheidung über die Revision des Beschwerdeführers nicht mit

einer Begründung versehen hat. Art. 6 EMRK in der Auslegung des

Gerichtshofs ist zwar eine grundsätzliche Pflicht zur angemessenen

Begründung gerichtlicher Entscheidungen zu entnehmen. Allerdings hängt

die Begründungspflicht von der Natur der Entscheidung ab und ist im

Lichte der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Ein

Rechtsmittelgericht, das ein Rechtsmittel zurückweist, darf sich

grundsätzlich darauf beschränken, sich die Begründung der angefochtenen

Entscheidung zu Eigen zu machen. Bei nationalen übergeordneten Gerichten

erachtet es der Gerichtshof zudem für mit der Konvention vereinbar, wenn

solche Gerichte bei der Nichtannahme offensichtlich unbegründeter

Beschwerden von einer ausführlichen Begründung der Entscheidung absehen

und allein auf die Norm verweisen, die ein entsprechendes Vorgehen

erlaubt.

 

 

 

Pressemitteilung Nr. 60/2014 vom 15. Juli 2014

Beschluss vom 30. Juni 2014

2 BvR 792/11

 

 

Wie gesagt, wenn ich an manche Revisionsentscheidung (z.B.) des OLG Rostock denke, wird mir immer noch ganz schlecht.

 

Thomas Penneke

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