Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verzögerung

Penneke GerichtssaalDas Landgericht Neuruppin hat sich sehr ausführlich zu der Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verzögerung erklärt. Den Angeklagten war schon seit Oktober 2009 der Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung gemacht worden. Anklage wurde erst im März 2011 erhoben. Diese Begründung ist sehr nachvollziehbar und soll hier auch Einzug in den Blog halten.

PS: Über diesen Prozess gab es auch lustiges zu berichten. 🙂

Aber jetzt zu der Begründung des Landgerichts Neuruppin. Dies ist vor allem für die Studenten und Referendare interessant.

 

Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK hat auch ein nicht inhaftierte Angeklagter – wie hier – das Recht auf eine Behandlung seiner Sache innerhalb angemessener Frist; diese beginnt, wenn der Beschuldigte von den Ermittlungen gegen ihn Kenntnis gesetzt wird und endet mit dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Ob die Verfahrensdauer noch angemessen ist, muss nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden. Dabei ist auf die gesamte Dauer von Beginn bis zum Ende der Frist abzustellen und es sind Schwere und Art des Tatvorwurfs, Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens, Art und Weise der Ermittlungen neben dem eigenen Verhalten des Beschuldigten sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des Verfahrens verbundenen Belastungen für dne Beschuldigten zu berücksichtigen (vgl. BGH wistra 2004, 298 m.w.N.). Eine gewisse Untätigkeit während eines bestimmten Verfahrensabschnitts führet daher nicht ohne weiteres zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, sofern die angemessene Frist insgesamt nicht überschritten wird (vgl. BGH NStZ 2003, 384 m.w.N.).

 

Gemessen an diesen Kriterien ist das Gericht von einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von einem Jahr ausgegangen, soweit die im Wesentlichen in der Vernehmung von vermeintlichen Augenzeugen bestehenden Ermittlungen durch das Regionalkommissariat Neuruppin Ende November 2009 abgeschlossen waren und gegen die Angeklagten, denen seit Oktober 2009 das gegen sie geführte Ermittlungsverfahren bekannt war, gleichwohl erst im März 2011 Anklage erhoben worden war. Bei angemessener Sachbehandlung hätte die  – unter Aussparung der Personalie der Angeklagten – aus knapp 1 ½ Seiten bestehende und kein wesentliches Ermittlungsergebnis enthaltende Anklage ohne weiteres ein Jahr früher verfasst und beim Amtsgericht Neuruppin erhoben werden können. Indes sind die nachfolgenden Verzögerungen – auch mit Blick auf die Beteiligung von vier Angeklagten, einem Nebenkläger, der für sich Prozesskostenhilfe begehrt hat mit der Folge eines eigenständigen Prüfungsverfahren seiner wirtschaftlichen Verhältnisse, und insgesamt fünf Rechtsanwälten noch als angemessen zu bewerten. Die erstinstanzliche Hauptverhandlung hat nach Eröffnung des Hauptverfahrens mit Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 12.12.11 vier Verhandlungstage (16.4., 27.4., 4.5., 25.5.2012) in Anspruch genommen. Die Berufungshauptverhandlung fand nach Eingang der Akten beim Berufungsgericht am 2.1.2013, nach einer Terminsabstimmung mit den Verfahrensbeteiligten im August 2013 über zunächst drei Hauptverhandlungstage, seit November 2013 an insgesamt 12 Verhandlungstagen statt und zog sich über fünf Monate hin. Hierbei handelt es sich allerdings gerade nicht um eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, soweit die Dauer der Hauptverhandlung ganz maßgeblich auf das (zulässige) Prozessverhalten der anwaltlich vertretenen Angeklagten und die Terminsschwierigkeiten ihrer Verteidiger und des Nebenklägervertreters zurückgeht.

 

Das Gericht hat folglich gemäß der „Vollstreckungslösung“ des BGH in der Urteilsformel ausgesprochen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt gilt. Für den Angeklagten W. hat es diesen Bruchteil auf drei Monate und für den Angeklagten K. auf zwei Monate und zwei Wochen festgesetzt und dabei berücksichtigt, dass sich die Auswirkungen der einjährigen rechtsstaatswidrigen Verzögerung für die beiden Angeklagten in Grenzen hielten, insbesondere waren sie weder während des laufenden Verfahrens in Haft noch deswegen sonstigen einschneidenden Konsequenzen ausgesetzt. Allerding hat das Gericht eine vorgenommen, weil gegen den Angeklagten W. die tat- und schuldangemessene Freiheitsstrafe um zwei Monate höhe ausgefallen ist als für den Angeklagten K.

 

Aus dem Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 9. April 2014 14 Ns 2/13

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