Pflichtverteidiger im Strafvollstreckungsverfahren

Thomas Penneke PflichtverteidigungGeht es bei dem Beschluss um einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, denn ist ein Verteidigerbeistand zur Erlangung von Akteneinsicht und Beratung über Sach- und Rechtsfragen sowie schriftsätzlichen Stellungnahmen gegenüber dem Gericht nicht in gleichem Maße erforderlich wie ein Verteidigerbeistand in der  Hauptverhandlung des Erkenntnisverfahrens. Es kommt alleine darauf an, ob die Beurteilung des Widerrufsgrundes und der Frage, ob gemäß § 56 f Abs. 2 StGB möglicherweise von einem Widerruf abgesehen werden kann, besondere Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bietet, die die Beiordnung eines Verteidigers geboten erscheinen lässt.

Sachverhalt:

Die Reststrafe des Verurteilten wurde außer Vollzug gesetzt. Spektakulär war an diesem Fall, dass der Verurteilte mir seiner Argumentation, es sei die letzte Chance für Menschen wie ihn, die Strafvollstreckungskammer überzeugte. In einem anderen Blogbeitrag berichtete ich bereits.

 

Letzte Chance für “Menschen wie mich”

 

Nunmehr wurde seitens der Staatsanwaltschaft ein Widerruf der Reststrafenaussetzung beantragt. Ich beantragte die Pflichtverteidigung. Die Kammer des Landgerichts Dresden sah die Sachlage aufgrund der Person des Verurteilten als schwierig an. Über den Beschluss werde ich noch berichten.

 

Das Oberlandesgericht hob den Pflichtverteidigerbeschluss auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft auf.

 

Die Entscheidungsbegründung:

 

“In analoger Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO kommt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren dann in Betracht, wenn die besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines Verteidigers gebietet ( OLG Hamm NStZ 1983, 189) oder der Verurteilte unfähig ist, sich selbst zu verteidigen (OLG Hamm NStZ-RR 2000, 113). Bei Prüfung dieser Voraussetzungen müssen jedoch die Besonderheiten des Strafvollstreckungsverfahrens in den Blick genommen werden. Geht es bei dem Beschluss um einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, denn ist ein Verteidigerbeistand zur Erlangung von Akteneinsicht und Beratung über Sach- und Rechtsfragen sowie schriftsätzlichen Stellungnahmen gegenüber dem Gericht nicht in gleichem Maße erforderlich wie ein Verteidigerbeistand in der  Hauptverhandlung des Erkenntnisverfahrens. Ebenso wenig wie bei einer Entscheidung nach § 57 StGB die Dauer des noch zu verbüßenden Strafrestes ein Kriterium für die Beiordnung eines Verteidigers ist, ist dies auch im Fall eines Widerrufs bezüglich der Höhe der zu widerrufenden Strafe der Fall. Es kommt alleine darauf an, ob die Beurteilung des Widerrufsgrundes und der Frage, ob gemäß § 56 f Abs. 2 StGB möglicherweise von einem Widerruf abgesehen werden kann, besondere Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bietet, die die Beiordnung eines Verteidigers geboten erscheinen lässt.

 

Im vorliegenden Fall kann keine Rede davon sein, dass die Sach- oder Rechtslage schwierig sein könnte.

a)

Der Verurteilte hat hier offensichtlich seine Bereitschaft zur Aufnahme einer Entwöhnungstherapie bei der Stiftung Synanon in Berlin (zugleich „ zur Ermöglichung einer Berufsausbildung“) nur vorgetäuscht, also die Reststrafenaussetzung „erschlichen“.

 

 

Nach Auskunft der Therapieeinrichtung ist er dort überhaupt nicht erschienen. Selbst wenn seine gegenteilige Beteuerung in einem Telefongespräch mit dem Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer vom 6. Februar 2014 richtig sein sollte, „dass er mit den Unterbringungsbedingungen bei Synanon nicht einverstanden sei“, hätte die Strafvollstreckungskammer sofort- mögliche aufgrund entsprechenden Antrags der Staatsanwaltschaft – mit der Einleitung des Widerrufsverfahren beginnen müssen.

 

b)

Insbesondere der Umstand, dass der Verurteilte nicht bereit war, dem Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer seine aktuelle Anschrift zu nennen, hätte Veranlassung sein müssen, sofort die Strafaussetzung zu widerrufen. Denn in diesen Fällen gilt das Recht auf mündliche  Anhörung als verwirkt (OLG Düsseldorf NStZ 1988, 243). Aber selbst wenn man vom Widerruf zunächst Abstand nehmen wollte, hätte die Notwendigkeit bestanden, einen Sicherungshaftbefehl gemäß § 453c ABs. 1 StPO zu prüfen (vgl. auch KG Berlin, Beschluss vom 29. Juli 1998 – 1 AR 343/98 – 4 Ws 69/98 – zitiert bei juris). Selbst der Verurteilte hat in einem Telefonat mit der Rechtspflegerin der Staatsanwaltschaft Leipzig- realistischerweise – mit dem Erlass eines Haftbefehls gerechnet, was für sich spricht. All dies zeigt mehr als deutlich, dass sowohl die Strafvollstreckungskammer als auch die Staatsanwaltschaft Leipzig, die zunächst davon abgesehen hat, einen Widerrufsauftrag zu stellen, nicht zeitnah auf die eingetretene Situation reagiert haben. Das hat dazu geführt, dass die Reststrafenaussetzung bis heute nicht widerrufen ist. (Dass der Verdacht, der Verurteilte habe neue Straftaten begangen, für die Frage des Widerrufs außer Betracht zu bleiben hatte, braucht, da selbstverständlich, nicht näher ausgeführt werden.)

 

c)

Die eingetretenen Versäumnisse haben aber nicht dazu geführt, dass die Sach- und Rechtslage schwierig sein könnte. Durch die sofortige Anberaumung eines Anhörungstermins zum Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft kann dem ausreichend Rechnung getragen werden. Weitere Anträge auf Verschiebung des Termins würden nach Auffassung des Senats die fehlende Bereitschaft des Verurteilten zur Mitwirkung und Fluchtgefahr i.S.d. § 112 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 453 c Abs. 1 StPO begründen können, selbst wenn die Anschrift des Verurteilten jetzt bekannt ist.”

 

So kann es gehen!

Strafverteidiger Thomas Penneke

Thomas Penneke