Ein „selten dämlicher Staatsanwalt“

 Verfassungsrechtlich unzureichend berücksichtigt das Landgericht zum anderen den Gesichtspunkt der Machtkritik. Er steht in keinem starren Abhängigkeitsverhältnis zum „Kampf ums Recht“. Selbst wenn – wie nicht – der Aspekt des „Kampfs ums Recht“ nicht vorläge, so bliebe eine kritische Äußerung des Beschwerdeführers doch unter dem Gesichtspunkt der Machtkritik zulässig. Denn die Meinungsfreiheit enthält das Recht der Bürger, die von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen zu können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende gerichtliche Sanktionen bilden (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 09. Februar 2022 – 1 BvR 2588/20 -).

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer war in einem Strafverfahren verurteilt worden. Dieses Urteil erwuchs in Rechtskraft. Zeitgleich erstattete er Strafanzeige wegen dieser Sache gegen ein ihm unbekannten Mitarbeiter des Arbeitsamts. Das Verfahren wurde eingestellt. Hiergegen beschwerte er sich.

Der Beschwerdeführer war nun angeklagt und später verurteilt worden, weil er in dem „Beschwerdeschreiben“ an einen Oberstaatsanwalt folgendes schrieb:

„(…) Ich lege Widerspruch ein gegen die Einstellung des Verfahrens oben genannten Aktenzeichens. Es ist nicht richtig, […] das hier keine ersichtliche Straftat vorliegt. […] Durch die falsche Zeugenaussage der Agentur für Arbeit […] hat dann ihr Mitarbeiter, dessen Name man mir nicht sagen will, daraus eine absurde Anklageschrift verfasst, die ein achtjähriges Kind das die zweite Klasse einer Grundschule erfolgreich abgeschlossen hat, erkennen konnte. Nur ein studierter Jurist hat dies offensichtlich nicht erkannt. Zudem wurde von der Staatsanwaltschaft gar nicht ermittelt, sondern sich blind auf die Falschaussage der Agentur für Arbeit verlassen und daraus eine Anklageschrift verfasst. In der Anklageschrift sind gravierende Mängel, keine Beweise wurden gesichert. So wusste die Agentur für Arbeit durch ein Schreiben von mir, das ich ab 15.12.2016 einer Beschäftigung nachgehe. […] Schwere Ermittlungsfehler und ein selten „dämlicher“ Staatsanwalt, der nicht lesen und schreiben kann. Auf Grund des Strafbefehls hätte ich gar nicht erst verurteilt werden dürfen, […].“

Erste Instanzentscheidungen

Für dieses Schreiben wurde der Beschwerdeführer wieder mit einem Strafverfahren belegt. Das Amtsgericht erließ nach Antrag der Staatsanwaltschaft gegen den Beschwerdeführer einen Strafbefehl wegen Beleidigung des dem Beschwerdeführer namentlich unbekannten, damals zuständigen Staatsanwalts über 60 Tagessätze zu 20 Euro. Nach eingelegtem Einspruch verurteilte das Amtsgericht den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 20 Euro. Die Berufung des Beschwerdeführers verwarf das Landgericht und erhöhte die Geldstrafe auf 80 Tagessätze. Auf die erste Revision zum Bayerischen Obersten Landesgericht hob dieses die Verurteilung auf und verwies das Verfahren zurück an das Landgericht. Das Landgericht verwarf aufgrund erneuter Verhandlung die Berufung des Beschwerdeführers. Es führte aus, die Äußerung des Beschwerdeführers, der Staatsanwalt sei „selten dämlich“, stelle ein herabsetzendes Werturteil dar.

Revisionsentscheidung II

Die zweite Revision war nicht erfolgreich. Das Revisionsgericht führte in seinen Gründen hierzu aus, dass das Landgericht rechtsfehlerfrei vom Vorliegen einer ehrverletzenden Äußerung ausgegangen sei. Eine Staatsanwältin als „dämlich“ und des Lesens und Schreibens nicht mächtig zu bezeichnen, stelle diese als intellektuell minderbemittelt dar. Diese Äußerungen bezögen sich, wenn auch vor dem Hintergrund der kritisierten Sachentscheidungen, auf die sachbearbeitende Staatsanwältin als Person. Zutreffend sei das Landgericht davon ausgegangen, dass die Aspekte der Machtkritik und des Kampfs ums Recht aufgrund des für den Beschwerdeführer schon abgeschlossenen Strafverfahrens weniger stark wögen. Auch sei die Äußerung nicht spontan gefallen

Beschwerdevorbringen

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer insbesondere die Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Fachgerichte hätten die Reichweite des Grundrechts grundlegend verkannt und den Aussagegehalt der streitigen Äußerung nicht zutreffend ermittelt, denn „dämlich” könne schlicht unbeholfen oder ungeschickt bedeuten. Weiter bestehe ein Recht auf Meinungsäußerung unabhängig von einem Zweckerfordernis. Dieses aber forderten die Fachgerichte, wenn sie darauf abstellten, ob die Äußerung noch vom Kampf ums Recht erfasst sei oder nicht. Ferner hätten die Fachgerichte die Reichweite dieses Aspekts zu eng gefasst, wenn sie darauf abstellten, dass der Beschwerdeführer seinen Strafausspruch habe rechtskräftig werden lassen. Er sei berechtigt, seine Wahrnehmungen von Ungerechtigkeiten zu äußern. Die Meinungsäußerung verdiene auch dann Schutz, wenn es um die Klärung möglicher Missstände gehe. Letztlich sei die Ansicht des Landgerichts unzutreffend, dass Äußerungen, die sich nicht auf die Behörde, sondern auf die Person des Amtsträgers bezögen, nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. Der Kampf ums Recht gestatte starke und eindringliche Ausdrücke und eine Argumentation ad personam.

Entscheidung

Einige gewichtige Sätze aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2022. 

Der Charakter einer Äußerung als Schmähung oder Schmähkritik im verfassungsrechtlichen Sinn folgt nicht schon aus einem besonderen Gewicht der Ehrbeeinträchtigung als solcher und ist damit nicht ein bloßer Steigerungsbegriff. Auch eine überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik macht eine Äußerung noch nicht zur Schmähung, so dass selbst eine Strafbarkeit von Äußerungen, die die persönliche Ehre erheblich herabsetzen, in aller Regel eine Abwägung erfordert 

Bei der Gewichtung der durch eine Äußerung berührten grundrechtlichen Interessen ist insbesondere davon auszugehen, dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet

Allerdings bleibt auch der Gesichtspunkt der Machtkritik in eine Abwägung eingebunden und erlaubt freilich nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern.

 Mit Blick auf Form und Begleitumstände einer Äußerung kann nach den Umständen des Falles insbesondere erheblich sein, ob sie ad hoc in einer hitzigen Situation oder im Gegenteil mit längerem Vorbedacht gefallen ist. Der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit als unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit (vgl. BVerfGE 12, 113 <125>) impliziert – in den Grenzen zumutbarer Selbstbeherrschung – die rechtliche Anerkennung menschlicher Subjektivität (vgl. BVerfGE 33, 1 <14 f.>) und damit auch von Emotionalität und Erregbarkeit.

Die ganze Entscheidung finden Sie hier: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2022/02/rk20220209_1bvr258820.html

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