Die Identitätsfeststellung und Durchsuchung des Rucksacks einer polizeibekannten Waldbesetzerin im Zug nach Darmstadt waren rechtswidrig (VG Gießen, Urteil vom 04.04.2025 – nicht rechtskräftig).
Im ICE Richtung Süden, Gepäck im Gepäckfach, Ziel: angeblich nur Darmstadt. Doch für die Bundespolizei war klar: Diese Person wollte zurück in den Wald – mit Kletterausrüstung. Das Verwaltungsgericht Gießen hat nun entschieden: Die Polizei hatte kein Recht, die Frau im Zug zu kontrollieren und ihren Rucksack zu durchwühlen. Auch wer schon mal auf einer Autobahnbrücke hing, darf nicht einfach durchsucht werden.
Sachverhalt
Die Klägerin, nach eigener Darstellung erfahren im Klettern und regelmäßig Teil waldbesetzungsnaher Protestformen, befand sich im Dezember 2020 im Zug auf dem Weg nach Darmstadt. Am Frankfurter Hauptbahnhof wurde sie von Bundespolizisten kontrolliert – nach einem Hinweis aus Mittelhessen. Identität festgestellt, Rucksack durchsucht, Kletterausrüstung beschlagnahmt.
Die Begründung: Die Frau stehe im Verdacht, erneut an Protestaktionen im Dannenröder Forst teilnehmen zu wollen. Sie sei in der Vergangenheit mehrfach durch „Abseilaktionen“ aufgefallen – auch durch Twitter-Posts mit dem Hashtag #dannibleibt und durch öffentliche Fotos.
Die Betroffene hingegen argumentierte, sie sei mit Hin- und Rückfahrtticket nach Darmstadt unterwegs gewesen, habe keinen konkreten Plan gehabt, sich an Protesten zu beteiligen, und sei bereits an Marburg – also am nächstgelegenen Ort zum Dannenröder Forst – vorbeigefahren gewesen.
Entscheidung / Auswirkungen
Das Verwaltungsgericht Gießen entschied zugunsten der Klägerin. Sowohl die Identitätsfeststellung als auch die Durchsuchung des Rucksacks seien rechtswidrig gewesen. Beides stelle einen nicht unerheblichen Eingriff in ihre Grundrechte dar – insbesondere, da der Eingriff im belebten Zugabteil vor Publikum erfolgte und der Rucksack persönliche Gegenstände enthielt.
Auch unter Berücksichtigung ihrer früheren Protestbeteiligungen habe es keinen hinreichend konkreten Gefahrenverdacht gegeben. Die Annahme, sie wolle erneut in den Forst reisen, sei nicht tragfähig – zumal sie sich auf dem Weg nach Darmstadt befand, und Marburg, die relevante Haltestelle, bereits passiert hatte.
Meinung und Schluss
Protestformen mit Seil und Hängematte mögen auf Autobahnbrücken Eindruck hinterlassen – aber die Polizei darf deshalb nicht jede Zugfahrt zum Anlass nehmen, alte Bekannte präventiv zu kontrollieren. Das VG Gießen erinnert an eine simple Wahrheit: Auch notorische Waldbesetzerinnen haben Grundrechte. Und selbst wer auf Wikipedia als „Kletterprofi“ geführt wird, darf einen Rucksack packen, ohne dass sofort jemand reinschaut.
Das Urteil macht deutlich: Wer Eingriffe rechtfertigen will, braucht konkrete Hinweise – nicht bloß Google-Treffer. Die Polizei darf nicht durch Suchmaschinen ersetzt werden. Und wer mit Fahrschein und Wochenendtasche in Richtung Darmstadt fährt, ist eben nicht automatisch auf dem Weg zur nächsten Baumkrone.