Erfolglose Verfassungsbeschwerde zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung („elektronische Fußfessel“)

Mit Beschluss vom 1. Dezember 2020 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die gesetzlichen Regelungen in § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 12, Satz 3 StGB in Verbindung mit § 463a Abs. 4 StPO zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung („elektronische Fußfessel“) mit dem Grundgesetz vereinbar sind (Beschluss vom 01. Dezember 2020 2 BvR 916/11, 2 BvR 636/12).

Hierin liegt zwar ein tiefgreifender Grundrechtseingriff insbesondere in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Gleichwohl ist dieser Grundrechtseingriff aufgrund des Gewichts der geschützten Belange zumutbar und steht nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der Rechtsgüter, deren Schutz die elektronische Aufenthaltsüberwachung bezweckt.

Aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Pressemitteilung Nr. 14/2021 vom 4. Februar 2021 (die wichtigsten Punkte):

“(…) Die Beschwerdeführer wurden nach Verbüßung ihrer langjährigen Freiheitsstrafen aus der Haft entlassen und zunächst polizeilich beobachtet. Die Fachgerichte ordneten als Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht die elektronische Aufenthaltsüberwachung der Beschwerdeführer an, woraufhin ihnen die „elektronische Fußfessel“ angelegt wurde.

Die Beschwerdeführer rügen insbesondere einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowohl in seiner Ausprägung als informationelles Selbstbestimmungsrecht als auch in seiner Ausprägung als Resozialisierungsgebot. Darüber hinaus machen sie eine Verletzung von Art. 12 GG, Art. 11 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG sowie Art. 103 Abs. 2 GG beziehungsweise des allgemeinen Vertrauensschutzgebotes und schließlich von Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG geltend. (…)

Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind unbegründet.

1. Die Möglichkeit gemäß §§ 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 12, Satz 3 StGB in Verbindung mit § 463a Abs. 4 StPO, den Aufenthaltsort eines Weisungsbetroffenen anlassbezogen festzustellen, verletzt die Beschwerdeführer nicht in ihren Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten.

a) Ein Eingriff in die Garantie der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG liegt nicht vor.

Die gesetzlichen Vorschriften sind lediglich auf die anlassbezogene jederzeitige Feststellbarkeit des Aufenthaltsortes des Betroffenen gerichtet. In welcher Weise er sich an diesem Ort betätigt, ist nicht Gegenstand der Überwachung, da sein Handeln weder optischer noch akustischer Kontrolle unterliegt. Der Gesetzgeber hat zudem innerhalb der Wohnung eine „genaue Ortung“ untersagt und die Datenerhebung auf eine Präsenzfeststellung beschränkt. Die bloße Feststellung des Aufenthaltsortes mittels einer GPS-gestützten Observation erreicht jedoch regelmäßig nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, der staatlicher Beobachtung schlechthin entzogen ist.

Die elektronische Aufenthaltsermittlung führt ebenso nicht zu einer mit der Menschenwürde unvereinbaren „Rundumüberwachung“, durch welche die Betroffenen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht würden. Die Erhebung der Daten erfolgt automatisiert und ermöglicht lediglich die Feststellung des Aufenthaltsortes. Zwar werden die hierzu erforderlichen Daten permanent erhoben, aber nur bezogen auf den Aufenthalt. Die mit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung verbundene Kontrolldichte ist nicht derart umfassend, dass sie nahezu lückenlos alle Bewegungen und Lebensäußerungen erfasst und die Erstellung eines Persönlichkeitsprofils ermöglicht.

b) Die Beschwerdeführer sind auch nicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt. Die gesetzlichen Vorschriften sind insbesondere verhältnismäßig.

aa) Die elektronische Aufenthaltsüberwachung stellt einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff dar, indem sie tief in die Privatsphäre des Weisungsunterworfenen eindringt und dessen durch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde gewährleistete Autonomie, sein Leben frei zu gestalten und seine Individualität zu entwickeln, beeinträchtigt. Sie ist mit der Verfassung deshalb nur vereinbar, soweit sie dem Schutz oder der Bewehrung hinreichend gewichtiger Rechtsgüter dient, für deren Gefährdung oder Verletzung im Einzelfall konkrete tatsächliche Anhaltspunkte bestehen.

Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben trägt die Regelungskonzeption von § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 12, Satz 3 StGB Rechnung. Der intensive Grundrechtseingriff ist aufgrund des Gewichts der geschützten Belange zumutbar und steht insbesondere nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der Rechtsgüter, deren Schutz die elektronische Aufenthaltsüberwachung bezweckt. Die elektronische Aufenthaltsermittlung unterliegt erheblichen Einschränkungen sowohl hinsichtlich des Adressatenkreises einer solchen Weisung als auch hinsichtlich der Schwere der zu erwartenden Straftaten. Ferner darf eine entsprechende Weisung nur erlassen werden, wenn die hinreichend konkrete Gefahr besteht, dass der Betroffene weitere schwere Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Art begeht. (…)”

Quelle: Pressemitteilung Nr. 14/2021 vom 4. Februar 2021

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